Jonathan Danko Kielkowski
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Fotografie, Dokumentation

Von Barentsburg nach Longyearbyen

Mitten in der Arktis, zwischen dem europäischen Festland 600 Kilometer im Süden und dem Nordpol 1000 Kilometer weiter nördlich, liegt der abgelegene Archipel Svalbard. Über 400 Inseln, geprägt von gewaltigen Gletschern und tief ins Landesinnere reichenden Fjorden, formen eine Landschaft, in der Eisbären die Oberhand haben – nicht nur zahlenmäßig. Eine Wildnis ohne Straßen, Autos oder Bäume, in der das Verlassen der Siedlung nur mit Gewehr erlaubt ist.

Genau hier, in diesem rauen und faszinierenden Grenzgebiet, brach ich in den Sommern 2015 und 2016 mit einem Freund zu einer Reise auf, die uns tief in die Geschichte und Wildnis Svalbards führen sollte.

Unser Ziel: die Erforschung und Dokumentation der Überreste von Svalbards glorreicher Bergbauvergangenheit. Während unserer Reise erkundeten wir verlassene Orte und Minen, die seit Jahrzehnten im Stillstand verharren. Diese Geschichte erzählt von unserer mehrtägigen Reise per Schiff und zu Fuß, die uns von der Siedlung Barentsburg nach Longyearbyen führte. Auf dem Weg entdeckten wir verlassene sowjetische Siedlungen, die Überreste der einzigen Eisenbahn auf Svalbard und meisterten Herausforderungen, die uns an unsere Grenzen brachten – sowohl körperlich als auch mental.

Datum

2015

Ort

Svalbard

Von den vielen Minen und Bergbausiedlungen auf Svalbard sind heute nur zwei noch bewohnt: die russische Stadt Barentsburg und das norwegische Longyearbyen. Beide liegen an der Südseite des Isfjords, nur etwa 50 Kilometer voneinander entfernt. Entlang der Küste zwischen diesen beiden Orten befinden sich mehrere verlassene sowjetische Siedlungen und Minen, darunter Grumantbyen und Colesbukta.

In den 1950er Jahren waren Grumantbyen und Colesbukta die bevölkerungsreichsten Städte auf Svalbard, bevor sie 1965 endgültig aufgegeben wurden. Da es keine Straßen oder direkten Wege dorthin gibt, das Terrain sehr unwegsam ist und durch Eisbär-Gebiet führt, existierten damals nur wenige Fotos von diesen Orten. Das machte sie besonders spannend für uns.

Nachdem wir Karten und Satellitenbilder studiert, mit Einheimischen gesprochen und einige Abmachungen mit den Behörden getroffen hatten, hatten wir einen Plan:

Wir buchten eine Bootsfahrt auf der Billefjord, einem Touristenkreuzfahrtschiff, von Barentsburg (A) nach Longyearbyen (D). Das Schiff sollte vor Grumantbyen (B) anhalten und uns mit einem kleinen Motorboot am Strand von Grumantbyen absetzen. Von dort aus wollten wir zunächst südlich entlang der Küste nach Colesbukta (C) wandern und später über die Berge nach Longyearbyen zurückkehren.

Die Herausforderungen, denen wir gegenüberstanden, waren: lange Wanderungen in unbekanntem Gelände, 35 kg schwere Rucksäcke, zahlreiche Flussüberquerungen, steile Berge, die wir queren mussten, Moränen und zu versuchen Begegnungen mit Eisbären zu vermeiden. Trotz vieler Gespräche mit Einheimischen vor Ort fanden wir niemanden, der die geplante Route bereits gegangen war. Dadurch blieben einige Fragen offen, und es gab unterwegs noch einige Herausforderungen zu lösen. Besonders der letzte Abschnitt unserer Route zurück nach Longyearbyen war vage geplant und stark abhängig von den diesjährigen Gelände- und Wetterbedingungen.

Abfahrt

Wir verließen Barentsburg am Mittag und erreichten nach etwa zwei Stunden unseren Absetzpunkt. Mit einem kleinen Motorboot wurden wir an den Strand von Grumantbyen gebracht. Von diesem Moment an waren wir auf uns allein gestellt: keine Verbindung zur Außenwelt, kein Internet, keine Hilfe. Mit 35 Kilogramm Gepäck, bestehend aus Proviant für mehrere Tage, einem großkalibrigen Gewehr und ausreichend Munition zum Schutz vor Eisbären, Foto- und Überlebensausrüstung sowie einem Zelt, begann unser Abenteuer. Der skeptische Blick des Bootsführers und sein ironisches „Schickt mir doch eine Karte, wenn ihr es lebend zurückschafft“, hallten in unseren Köpfen nach, während wir die ersten Schritte in die Ruinen von Grumantbyen setzten.

Grumantbyen

GESCHICHTE
Grumantbyen wurde 1913 gegründet und war in den 1950er Jahren mit über 1.100 Einwohnern die bevölkerungsreichste Siedlung auf Svalbard. Ab 1926 verband eine Schmalspurbahn – die erste und einzige Bahnstrecke auf Svalbard – die Stadt mit dem Hafen in Colesbukta und erleichterte den Kohleexport erheblich. Trotz des Erfolgs in den 1950er Jahren konnte sich die Siedlung langfristig nicht halten. Die Hauptmine wurde 1962 aufgrund von Unrentabilität geschlossen, und nur drei Jahre später, im Jahr 1965, verließen die letzten Bewohner Grumantbyen.

Von der einst stolzen Bergbaustadt ist nicht mehr viel übrig. Als die Russen sie Mitte der 60er Jahre verließen, wurden alle Eingänge zum Bergwerk sowie alle Brücken, Tunnel und Industriegebäude niedergebrannt oder gesprengt. Schnee, Eis, extreme Kälte im Winter, Regen und Massen von Schmelzwasser in den Sommermonaten taten ihr Übriges. Wir blieben einige Stunden in der alten Bergbaustadt und machten einen Erkundungsspaziergang durch die Ruinen. Da unser ursprünglicher Plan, auch das Bergwerk von innen zu erkunden, ohne schweres Gerät (gesprengte Eingänge) unmöglich schien, hatten wir mehr Zeit, um uns genauer anzusehen, was an der Oberfläche übrig geblieben war.

Ein ehemaliger Zugang zum Bergwerk der nach Aufgabe des Ortes gesprengt wurde.
Oberhalb der Gebäude finden sich noch Überreste der Bergwerksbahnanlagen.

Da der Ort an einem Hang liegt, schieben Schnee und Schmelzwasser die Überreste der Vergangenheit langsam, aber stetig Richtung Meer. Trümmer und alte Metallteile formen am Strand und in den Flussbetten surreale, fast skulpturale Gebilde – eine seltsame Mischung aus Kunst und Chaos. Es ist ein stiller Wettstreit zwischen Natur und Mensch, der zeigt, wie vergänglich unsere Spuren sind. Ein Moment zum Nachdenken, bevor man weiterzieht – genauso wie die Trümmer selbst.

Pünktlich um Mitternacht beschlossen wir, uns auf den Weg nach Colesbukta zu machen. Unser Ziel: die russische Rusanovodden-Hütte, idyllisch gelegen neben den alten Eisenbahnschienen und quasi vor den Toren von Colesbukta. Hier wollten wir unser Lager für den nächsten Tag aufschlagen.

Grumantbyen, malerisch in einer kleinen Bucht gelegen und umgeben von schroffen Berggipfeln, machte uns die Weiterreise allerdings nicht leicht. Da alle Eisenbahntunnel, die einst nach Colesbukta führten, zerstört waren, blieben uns nur zwei Optionen:

Die erste Option: Ein Aufstieg entlang des Steilhanges. Vorteil: Wir hätten genug Zeit und könnten in unserem eigenen Tempo gehen. Nachteil: Der Hang war steil, das Gelände voller Geröll und Moränen – vor allem der erste Abschnitt versprach, ziemlich anstrengend zu werden.

Die zweite Option: Ein Spaziergang am Strand entlang der Steilküste. Vorteil: Flaches Gelände, ideal für zügiges Vorankommen – zumindest zu Beginn. Nachteil: Wir müssten uns beeilen, da die Flut bereits einsetzte, und laut unseren Karten befand sich die nächste flache Stelle an der Küste erst in der Bucht von Colesbukta.

Nach fast 20 Stunden ohne Schlaf klang der Strandspaziergang für uns erstaunlich verlockend. „Das wird ein Spaziergang“, dachten wir in unserem grenzenlosen Optimismus. Und so machten wir uns ahnungslos auf den Weg…

AUF DEM WEG NACH COLESBUTKA

Um die acht Kilometer bis Colesbukta zu schaffen, bevor uns die Flut den Weg abschneiden würde, mussten wir zügig vorankommen. Anfangs wirkte der Strand glatt und leicht begehbar, was uns optimistisch stimmte, dass der Weg relativ einfach sein würde. Doch schon nach wenigen hundert Metern verwandelte sich der Strand in einen Hindernisparcours aus glatten, rutschigen Steinen in unterschiedlichsten Größen.

Der Versuch, mit unseren schweren Rucksäcken das Tempo hochzuhalten, endete schnell in schmerzhaften Rutschern und Stürzen, die uns blaue Flecken einbrachten. Also drosselten wir unser Tempo, in der Hoffnung, dass es zeitlich trotzdem reichen würde – oder dass der Strand bald wieder einfacher zu begehen wäre. Tatsächlich wurde der Untergrund nach einiger Zeit wieder flacher und leichter passierbar, doch die Zeit lief uns trotzdem davon.

Das Wasser stieg, der Strand wurde immer schmaler, und bald war klar, dass wir weder nach Colesbukta noch zurück nach Grumantbyen trockenen Fußes kommen würden. Erschöpft und gestresst suchten wir fieberhaft nach einer Stelle, an der wir die 10 bis 20 Meter hohe Klippe erklimmen konnten, um von dort aus entlang der alten Gleise weiterzugehen. Mit mehr Glück als Verstand fanden wir schließlich eine geeignete Stelle – gerade rechtzeitig, bevor der steigende Wasserpegel uns endgültig den Weg abschnitt.

Ein kleiner Fluss hatte sich durch die Steilküste bis fast zum Strand gearbeitet und die Klippe an dieser Stelle auf etwa fünf Meter Höhe reduziert. Die Oberfläche war von Stufen und Rissen durchzogen, was das Klettern deutlich erleichterte. Mein Kollege stellte sich der Herausforderung als Erster: Er kletterte geschickt nach oben, zog unsere Rucksäcke mit einem Seil hinterher und half anschließend mir, den Aufstieg zu bewältigen.

Überreste der Grumantbyen-Colesbutka-Eisenbahnlinie

GESCHICHTE
Die Schmalspurbahn Grumantbyen-Colesbutka verband die beiden russischen Siedlungen Grumatbyen und Colesbutka. Erbaut zwischen 1926 und 1932, war sie Spitzbergens längste Oberflächenbahn mit einer Länge von 8 km, von denen ein Großteil in einer Holzkonstruktion gegen Schneeverwehungen im Winter geschützt war. Ihr Hauptzweck war der Transport von Kohle aus der Grumantbyen-Mine zur neu gegründeten Hafenstadt Colesbutka. Sie hatte mehrere Brücken und führte durch einen 300 Meter langen Tunnel in die Bucht von Gruamntyben. Die Linie wurde zusammen mit Grumantbyen und Colesbutka im Jahr 1965 aufgegeben.

Nachdem wir die Klippe hinaufgeklettert waren, standen wir endlich wieder auf festem Boden. Der Stress und die Schmerzen der letzten Stunden wurden mit einem beeindruckenden Panoramablick über den Fjord belohnt. Zu unserer Überraschung waren die Überreste der alten Eisenbahnlinie erstaunlich gut erhalten. Trotz der Zerstörung durch die Russen vor ihrer Abreise und des Verfalls über die Jahrzehnte waren die Gleise und lange Abschnitte der hölzernen Schutzkonstruktionen noch intakt. Unterwegs entdeckten wir sogar einige alte Eisenbahnwaggons, die entlang der Strecke verstreut lagen.

Von hier aus konnten wir den Rest des Weges auf den Gleisen zurücklegen und erreichten kurz darauf die Rusanovodden-Hütte. Es war bereits 4 Uhr morgens, und unser einziger Gedanke war: endlich schlafen.

Die Rusanovodden-Hütte

GESCHICHTE
Die Rusanovodden-Hütte wurde 1912 von Wladimir Alexandrowitsch Rusanow, 1875-1913, einem russischen Geologen und Forscher, erbaut, der 1912 das Grundstück in Grumantbyen beanspruchte. Nach seinem Tod im Jahr 1913 und dem Beginn der russischen Kohlebergbauaktivitäten in diesem Teil von Spitzbergen wurde die Hütte in ein kleines, selbstgeführtes Museum zu Ehren von Rusanow umgewandelt. Die Hütte ist heute eine der wenigen öffentlich zugänglichen auf Svlabard. Neben dem Museum bietet sie auch Betten für bis zu 6 Personen, einen Ofen und grundlegende Hütteneinrichtungen.

Nach fast 24 Stunden ohne Schlaf und einem kräftezehrenden Marsch war die Ankunft in der Hütte eine enorme Erleichterung. Endlich konnten wir eine ausgiebige Pause einlegen. Wir bereiteten uns etwas zu essen vor und brachten den Ofen der Hütte zum Glühen. Als die Wärme des Feuers den Raum erfüllte, machten wir es uns in den rustikalen Holzbetten bequem und fielen bald in einen tiefen, 15-stündigen Schlaf.

Colesbutka

GESCHICHTE
Colesbukta war ursprünglich eine Walfangstation. Später, in den frühen Jahren des 20. Jahrhunderts, wurden erste Versuche des Kohlebergbaus in der Bucht selbst unternommen, aber bald abgebrochen und verlegt. Die Kohlebergbauaktivitäten begannen in der nahe gelegenen, neu gegründeten Siedlung Grumanbyen. Aufgrund des flachen Wassers um Grumantyben war es nicht möglich, die Kohle mit Schiffen abzuholen. Die Aufmerksamkeit richtete sich wieder auf Colesbutka, das für einen Hafen besser geeignet war. Der Betrieb begann im Jahr 1932 und endete mit der Schließung der Grumantbyen-Kohlemine in den 60er Jahren. Bis 1988 diente Colesbutka als russische Basis für explorative Kohlebohrungen und wurde später aufgegeben.

Von der Rusanovodden-Hütte aus ist es nur ein 10-minütiger Spaziergang auf dem alten Eisenbahnpfad bis nach Colesbukta. Wir ließen unsere schwere Ausrüstung in der Hütte zurück, nahmen nur unsere Kameras und das Gewehr mit und machten uns auf den Weg in die Hafenstadt. Kurz nachdem wir die Hütte verlassen hatten, verschwanden die Eisenbahnschienen unter unseren Füßen – vermutlich beim Abzug abgebaut. Scrappmetal bringt schließlich mehr als Erinnerungen…

Schon bald kam Colesbukta in Sicht. Ähnlich wie in Grumantbyen lagen auch hier fast alle Industriegebäude in Trümmern. Doch im Gegensatz zu Grumantbyen waren die Spuren der Sprengungen hier noch deutlich sichtbarer. Wir wurden von einem Labyrinth aus verdrehten Stahlträgern und zerbrochenen Betonblöcken empfangen – die Überreste von Gebäuden, die jetzt kaum noch zu erkennen war. Ein Krater in der Mitte und Trümmer, die teilweise über hundert Meter von ihrem ursprünglichen Standort entfernt lagen, waren stumme Zeugen der gewaltigen Explosion, die diese Bauwerke einst zerrissen hatte.

Am Dock entdeckten wir ein halb versunkenes Schiff, umgeben von verlassenen Bergbauausrüstungen, die im Hafen zurückgeblieben waren. Der Strand rund um die Siedlung war übersät mit Holz, Fässern und anderen Trümmern.

Das alte Kraftwerk von Colesbukta, die einzige noch stehende Industrieanlage in der Bucht, präsentiert sich heute als leere Hülle ihres früheren Selbst. Während des Abzugs wurde alles Wertvolle aus dem Inneren entfernt oder demontiert.

Im Gegensatz zur zerstörten Infrastruktur und den Industriegebäuden befanden sich die Wohngebäude noch in einem überraschend guten Zustand. Einige Zimmer wirkten sogar so als ob sie noch bewohnt wären.

Abgesehen von Vögeln und Rentieren trafen wir in dieser Stadt auf keine lebenden Bewohner – dafür jedoch auf einige, die längst nicht mehr unter uns waren. Am Ortsrand entdeckten wir einen alten Friedhof. Hier ruhen etwa 20 junge Kohlebergarbeiter, die ihr Leben in diesem entlegenen Winkel der Welt ließen. Einige Grabsteine zeigen Bilder der verstorbenen Männer, die hier begraben liegen.

Es ist schon ein merkwürdiges Gefühl, an einem so abgelegenen Ort der Welt begraben zu sein. Wurden sie jemals von Angehörigen besucht? Oder nach ihrem Tod einfach hier beerdigt und der Natur überlassen? Und dann die Tatsache: Man hat sich die Mühe gemacht, Industrieanlagen zurückzubauen, Altmetall und Bergbaugeräte fortzuschaffen – aber die eigenen Kameraden ließ man hier zurück. War das eine bewusste Entscheidung, um die Totenruhe nicht zu stören? Oder einfach eine bittere Notwendigkeit?

Ich weiß es nicht. Aber diese Gedanken werden mich sicher noch eine ganze Weile beschäftigen.

Nach vier Stunden in Colesbukta entschieden wir uns, zu unserer Hütte zurückzukehren. Eigentlich hatten wir geplant, uns vor dem anstrengendsten Teil der Route noch etwas auszuruhen und uns mehr Zeit zu nehmen, um den Ort weiter zu erkunden. Doch das Wetter hatte sich in den letzten Stunden allmählich verschlechtert. In der Ferne war zu sehen, wie die Wolkendecke langsam, aber stetig dichter wurde und in unsere Richtung zog. Da wir weder unterwegs vom schlechten Wetter überrascht werden wollten noch viel Zeit bis zu unserem geplanten Rückflug nach Norwegen hatten, entschieden wir uns, direkt in Richtung Longyearbyen aufzubrechen.

AUFBRUCH NACH LONGYEARBYEN

Vor uns lagen 25 Kilometer, auf denen wir etwa 600 Höhenmeter auf- und absteigen mussten. Zudem galt es, Flüsse zu queren sowie Geröll, Matsch und Schneelandschaften zu durchqueren. Nur ein Teil der Route war uns vorab im Detail bekannt.

Laut Einheimischen gab es oberhalb von Colesbukta einen alten Pfad, den sowjetische Bergarbeiter vor vielen Jahren mit Kettenfahrzeugen hinterlassen hatten. In den 1960er Jahren hatten sie in der Region zahlreiche Testbohrungen auf der Suche nach Kohlevorkommen durchgeführt. Die Arbeiter transportierten schweres Gerät durch die Landschaft, errichteten provisorische Bohrstationen und ließen nach Abschluss ihrer Arbeiten alles zurück.

Die Reifenspuren dieser Geländefahrzeuge sind teilweise bis heute im weichen Boden erhalten und sogar auf Satellitenbildern sichtbar. Unser Plan war, diesen Spuren ein gutes Stück zu folgen, bevor wir schließlich einen geeigneten Abstieg vom Hochplateau ins Tal auf der anderen Seite finden mussten – der unklarste und auch schwierigste Teil der Route. Hier konnten uns selbst die Einheimischen nicht helfen, da Wind, Wetter und die Schneemenge die Landschaft jedes Jahr verändern und keine festen, klaren Wege zulassen. Wir waren also wieder einmal auf uns selbst angewiesen – und auf ein wenig Glück.

Nachdem wir unser Gepäck gepackt und eine kurze Mittagspause gemacht hatten, brachen wir gegen Mitternacht in Richtung Longyearbyen auf. Direkt hinter der Hütte ging es steil bergauf, und wir versuchten, die Fahrspuren der sowjetischen Bergarbeiter zu finden.

Der Berghang neben unserer Hütte war extrem steil, und was aus der Ferne wie fester Felsboden aussah, entpuppte sich als instabiles Geröllfeld. Mit 35 Kilogramm Gepäck auf dem Rücken und einem 8 Kilogramm schweren Gewehr in den Händen gab der Boden bei jedem Schritt nach. Wir mussten äußerst vorsichtig sein, um nicht den Halt zu verlieren. Auf dieser Oberfläche zu laufen, war alles andere als angenehm.

Trotzdem gewannen wir schnell an Höhe, und nach etwa einer Stunde begann sich der Boden zu ebnen. Die Steigung nahm ab, doch der Untergrund verwandelte sich in eine nasse, weiche Schlammlandschaft, durchzogen von kleinen Bächen und Moränen. Es dauerte etwa zwei Stunden, bis wir endlich die alte sowjetische Spur fanden. Leider war diese genauso schlammig wie die Umgebung – von Erleichterung keine Spur. Wir blieben mehrmals stecken, und das Vorankommen wurde immer anstrengender und frustrierender. Unsere Gehgeschwindigkeit sank rapide, unsere Füße waren durchnässt, und trotz der fast surrealen Schönheit der Landschaft sank unsere Stimmung spürbar.

Mit zunehmender Höhe fielen schließlich auch die Temperaturen, und nach ein paar Kilometern verschwand die Spur unter einer dicken Schneeschicht. Der Übergang vom Einsinken im Matsch zum Einsinken im Schnee war fast nahtlos – statt schmutziger Schuhe hatten wir nun kalte, klamme Beine bis zu den Knien. Yeah…

Nach etwa sechs Stunden Kampf gegen Schlamm, Schnee und Kälte war unsere Stimmung auf einem Tiefpunkt. Doch als wir schließlich die ersten Überreste der Bohrstationen in der Ferne entdeckten, änderte sich alles. Vor uns lag ein weitläufiges Trümmerfeld, das unsere Aufmerksamkeit sofort fesselte. Die meisten Bohrgeräte waren im Laufe der Jahre zusammengebrochen, ihre Teile hatten sich durch Wind, Regen und Schneeschmelze in der Umgebung verstreut. Doch mitten im Chaos stach eine Bohrstation hervor, die überraschend gut erhalten war – ein seltenes Relikt, das uns neugierig werden ließ.

Wir näherten uns der Station, und für einen Moment waren das schlechte Wetter, die Kälte und die Schmerzen der Wanderung wie vergessen. Als wir uns weiter umsahen, stießen wir auf eine alte Arbeiterhütte, die sich in einem erstaunlich guten Zustand befand. Im Inneren der Hütte fanden wir Werkzeuge, Kleidung und sogar gefrorene Lebensmittel – eingefrorene Momentaufnahmen einer längst vergangenen Zeit. Der Entdeckermodus hatte uns wieder voll erfasst, und die Faszination für diesen verlassenen Ort ließ die drohenden Wolken am Horizont und die Strapazen der letzten Stunden in den Hintergrund treten.

Nachdem wir den Standort der Bohrgeräte erkundet hatten, legten wir eine einstündige Pause ein, um etwas zu essen und den letzten Teil unserer Route zu besprechen. Wir ruhten uns an einem großen, mit Schnee gefüllten Flussbett aus – ein Ort, den uns ein Einheimischer als mögliche Stelle empfohlen hatte, um das Bergplateau zu verlassen und ins Bjørndalen-Tal hinabzusteigen. Der Abstieg war jedoch äußerst steil, und es war unklar, ob wir überhaupt entlang des Flusses bis ins Tal gelangen würden. Das Gelände war geprägt von steilen Abschnitten, stufenartigen Felsformationen und Wasserfällen. Wir diskutierten eine Weile, ob das Risiko es wert war. Im schlimmsten Fall hätten wir ab einem bestimmten Punkt nicht weiterkommen können und hätten den ganzen Weg zurück hinaufsteigen müssen, um eine alternative Route zu finden. Inzwischen hatten uns die Wolken eingeholt, und das Wetter verschlechterte sich zusehends.

Schließlich entschieden wir uns, den Abstieg zu wagen, und machten uns auf den Weg. Der Hang war äußerst steil, und das Gehen im tiefen Schnee erwies sich als nahezu unmöglich. Also wählten wir das Rutschen als alternative Fortbewegungsart – und es funktionierte überraschend gut. So rutschten wir eine Zeit lang das Flussbett hinunter in Richtung Bjørndalen-Tal, wobei wir darauf achteten, nicht zu schnell zu werden. Dieser Teil der Wanderung war unerwartet entspannt, und wir legten relativ schnell eine große Strecke zurück, da in der Schlucht noch reichlich Schnee lag.

Als wir dem Tal näher kamen, stiegen die Temperaturen an, und der Schnee unter uns verwandelte sich allmählich in einen reißenden Bergbach. Die breite Flussrinne verengte sich zu einer steilen, canyonartigen Schlucht mit losen Geröllhängen, die unsere volle Vorsicht erforderte.

Nach etwa einer Stunde – viel schneller als erwartet – erreichten wir das Bjørndalen-Tal. Die Erleichterung war groß, doch eine letzte Herausforderung wartete noch auf uns: Um unser Ziel, Longyearbyen, das 10 Kilometer entfernt lag, zu erreichen, mussten wir den Bjørndalen-Fluss überqueren. Das Wasser war zwar nur etwa 50 Zentimeter tief, doch die Strömung war stark. Das Grollen der umherpolternden Steine im Wasser war beeindruckend und zeigte die Kraft des Stroms. Nach einigem Suchen fanden wir eine geeignete Stelle. Da wir ohnehin schon bis zu den Knien durchnässt waren, machte es auch keinen großen Unterschied mehr – nasser als nass geht schließlich nicht.

Von dort an war der Rest des Weges vergleichsweise einfach. Es gab noch ein paar kleinere Flüsse zu überqueren, aber nichts, das mit den vorherigen Herausforderungen vergleichbar war. Nach mehr als zwölf Stunden Wanderung seit unserem Aufbruch von der Rusanovodden-Hütte und insgesamt über 20 Stunden auf den Beinen erreichten wir schließlich erschöpft den Campingplatz von Longyearbyen. Wir schlugen unser Zelt auf und schliefen fast 24 Stunden durch.

Als wir wieder erwachten, war die Welt um uns in dichten Nebel gehüllt. Die Sichtweite betrug nur wenige Meter. Die Schlechtwetterfront, die uns während der Wanderung im Nacken gesessen hatte, hatte uns nun eingeholt – und der Nebel hielt sich hartnäckig. Die nächsten drei Tage ging nichts mehr. Unser Rückflug nach Norwegen sowie alle anderen Flüge wurden abgesagt, Schiffe blieben im Hafen, und wir wollten uns gar nicht ausmalen, was passiert wäre, wenn uns der Nebel unterwegs überrascht hätte.

Mal wieder hatten wir mehr Glück als Verstand. Zum Abschluss wurden wir von unserer Fluggesellschaft im Radisson Blu Hotel in Longyearbyen untergebracht, während wir auf besseres Wetter und die Wiederaufnahme des Flugbetriebs warteten. Echtes Essen, ein richtiges Bett und die Möglichkeit, zu duschen, waren in diesem Moment der Reise ein wahr gewordener Traum. Es war der perfekte Abschluss einer unglaublichen, zweimonatigen Reise. Trotz anfänglicher Bedenken waren wir froh, dass wir uns auf dieses Abenteuer eingelassen hatten und es bis zum Ende durchgestanden haben.

Ein herzlicher Dank geht an Spitsbergen Travel, den Sysselmannen, Marcel Schütz und alle anderen, die uns während dieser Reise unterstützt haben.

Serien Index

Quellen und Links

Geschichte:

  • Grumant – Wikipedia: Ein Überblick über die Geschichte der verlassenen Bergarbeitersiedlung Grumant auf Spitzbergen.
    Wikipedia
  • Colesbukta – Wikipedia: Informationen zur Geschichte der Bucht Colesbukta und ihrer Bedeutung für den Kohleabbau auf Spitzbergen.
    Wikipedia
  • Arktikugol – Wikipedia: Details zur russischen Bergbaugesellschaft Arktikugol und ihren Aktivitäten auf Spitzbergen.
    Wikipedia
  • Grumantbyen – Spitsbergen | Svalbard: Ein Artikel über die Geschichte und den aktuellen Zustand von Grumantbyen.
    Spitsbergen Svalbard
  • Grønfjord und Colesbukta im Isfjord, Spitzbergen | Svalbard: Informationen über die Region Grønfjord und Colesbukta, einschließlich ihrer historischen Bedeutung.
    Spitzbergen

Tourismus:

  • Fjordcruise towards Billefjorden & the Nordenskiöld Glacier – HTG: Fjordkreuzfahrt zum Billefjorden und Nordenskiöld-Gletscher.
    Visit Svalbard
  • Boat trips – Visit Svalbard: Übersicht über verschiedene Bootstouren auf Svalbard, einschließlich Touren auf dem Billefjord.
    Visit Svalbard
  • Fjord Cruise to Nordenskiöld Glacier & Pyramiden – Discover Svalbard: Fjordkreuzfahrt zum Nordenskiöld-Gletscher und zur verlassenen Stadt Pyramiden.
    Discover Svalbard
  • Spitzbergen/Svalbard: Wanderabenteuer: Wanderreise auf Spitzbergen mit verschiedenen Wanderrouten ab Longyearbyen und der Geisterstadt Pyramiden.
    Spitzbergen Entdecken

Marcel Schütz:

  • Svalbard Photography by Marcel Schütz: Offizielle Website von Marcel Schütz mit Informationen zu seinen Fotografieangeboten auf Svalbard. Svalbard Photography
  • Svalbard Photography: Tours by Marcel Schütz: Übersicht über die von Marcel Schütz angebotenen Touren auf Svalbard. Vega Expeditionen