EPISODE 2: Crane Camping
Mitten in der Arktis, zwischen dem europäischen Festland 600 Kilometer im Süden und dem Nordpol 1000 Kilometer weiter nördlich, liegt der abgelegene Archipel Svalbard. Über 400 Inseln, geprägt von gewaltigen Gletschern und tief ins Landesinnere reichenden Fjorden, formen eine Landschaft, in der Eisbären die Oberhand haben – nicht nur zahlenmäßig. Eine Wildnis ohne Straßen, Autos oder Bäume, in der das Verlassen der Siedlung nur mit Gewehr erlaubt ist.
Genau hier, in diesem rauen und faszinierenden Grenzgebiet, brach ich in den Sommern 2015 und 2016 mit einem Freund zu einer Reise auf, die uns tief in die Geschichte und Wildnis Svalbards führen sollte.
Unser Ziel: die Erforschung und Dokumentation der Überreste von Svalbards glorreicher Bergbauvergangenheit. Während unserer Reise erkundeten wir verlassene Orte und Minen, die seit Jahrzehnten im Stillstand verharren.
In dieser Episode erzähle ich, wie wir nach unserer nächtlichen Ankunft in Longyearbyen, bewaffnet mit einer ordentlichen Portion Eisbären-Paranoia und ohne Lust auf teure Hotelzimmer, beschlossen, in der Kabine eines alten Kohlekrans zu nächtigen. Diese 1953 errichtete Stahlkonstruktion, einst Herzstück der lokalen Kohleindustrie, bot uns nicht nur Schutz vor den pelzigen Vierzentner-Killermaschinen, sondern bescherte uns auch eine unvergessliche Nacht mit Fünf-Sterne-Aussicht.
Datum
2015
Ort
Longyearbyen, Svalbard

Gegen Mitternacht am Flughafen von Longyearbyen: Wir hatten etwa neun Stunden Zeit, um etwas Schlaf zu finden und uns am nächsten Morgen ein Gewehr im örtlichen Ausrüstungsverleih für Expeditionen zu besorgen, bevor wir unser Schiff zur verlassenen sowjetischen Geisterstadt Pyramiden erwischen mussten. Ein Hotelzimmer für nur wenige Stunden zu buchen, schien uns zu umständlich und teuer. Also beschlossen wir, einen geeigneten Schlafplatz zu finden.
Da wir uns im Vorfeld der Reise mit reichlich Lektüre über Eisbären eingedeckt hatten, war unser „Eisbär-Paranoia-Level“ auf einem Rekordhoch. Klar war: Unser Schlafplatz musste möglichst eisbärsicher sein. Unsere erste Anlaufstelle war der Campingplatz von Longyearbyen in der Nähe des Flughafens – der nördlichste Campingplatz der Welt. Doch während wir versuchten, jemanden zu finden, der noch wach war, kickte die Eisbären-Paranoia rein. „Hier? Auf offenem Gelände? Ohne Zaun? Nur ein Zelt zwischen uns und einer vier Zentner schweren Killermaschine? No way, Mann!“

In nicht allzu weiter Ferne fiel uns ein großes Stahlobjekt ins Auge: Der Titan-Kohlekran von Longyearbyen.
Die riesige Struktur wurde 1953 erbaut, um Kohle aus dem nahegelegenen Lager auf Schiffe zu verladen, und war ein zentrales Element der Kohleindustrie Longyearbyens. Vom Mineneingang wurde die Kohle per Seilbahn zum Verladedock in Nesset transportiert. Seit 1922 wurden hier unzählige Tonnen Kohle weltweit verschifft. Doch mit dem Rückgang der Kohleindustrie in den letzten Jahrzehnten wurde der Betrieb nach und nach eingestellt. Heute ist der Titan-Kran eines der wenigen verbliebenen Relikte dieser Ära. Über 30 Meter hoch und weithin sichtbar, steht er nun als geschütztes Kulturdenkmal und symbolisiert die Geschichte von Longyearbyen als Bergbaustadt.

Auf zum Kran!
Vom Campingplatz aus sind es etwa zwei Kilometer Fußweg zum Kran. Ohne Gewehr in einem Gebiet voller Eisbären? Nicht die beste Idee. Doch mit unseren 40 kg schweren Rucksäcken versuchten wir, die Strecke so schnell wie möglich zurückzulegen – dabei paranoid jede Bewegung in der Landschaft beäugend. Glücklicherweise erreichten wir den Kran ohne Zwischenfälle.
Oben angekommen, erkundeten wir die Struktur und stellten schnell fest: Die Kabine des Krans war ein idealer Schlafplatz für die Nacht. Geschützt vor Wind – und hoffentlich auch vor Eisbären. Also machten wir es uns gemütlich, stellten unser Zelt auf, gönnten uns einen Snack und genossen die atemberaubende Aussicht.
„Besser als jedes Fünf-Sterne-Hotel.“
Die Nacht verbrachten wir tiefenentspannt in der Kabine des Krans. Keine Eisbären, kein Wind, kein Problem. Der Titan-Kran hatte uns nicht nur vor der arktischen Wildnis geschützt, sondern uns auch ein Erlebnis beschert, das wir so schnell nicht vergessen würden. Guter Start.












Arctic Coal Episode Index
Quellen und Links:
Longyearbyen – Wikipedia: Ein umfassender Überblick über die Geschichte von Longyearbyen, einschließlich Informationen zum Kohlebergbau und den verschiedenen Minen.
Wikipedia – Die freie Enzyklopädie
Kohlekraftwerk Longyear – Wikiwand: Details zum einzigen Kohlekraftwerk Norwegens, das in Longyearbyen liegt, und seine Bedeutung für die Region.
Wikiwand
Mine no 3 (Longyearbyen (Svalbard)) – Besucherinformationen: Informationen über die stillgelegte Mine Nr. 3, die heute als Museum dient und Einblicke in die Bergbaugeschichte bietet.
Whichmuseum
Longyearbyen Bergbaugeschichte – Spitzbergen | Svalbard: Ein Artikel über die Entwicklung des Bergbaus in Longyearbyen und die Bedeutung der Kohleindustrie für die Stadt.
Spitzbergen
Longyearbyen – Spitzbergen Reisen: Hintergrundinformationen zur Gründung und Entwicklung von Longyearbyen als Bergbausiedlung.
Spitzbergen Reisen AS
The History of Longyearbyen – The Hidden North: Ein detaillierter Überblick über die Geschichte von Longyearbyen, einschließlich der Rolle des Kohlebergbaus und der industriellen Entwicklung.
The Hidden North
Longyearbyen coal pits and ropeway conveyors – Wikimedia: Eine Sammlung von Fotografien der ehemaligen Kohlegruben und Seilbahnförderer in der Nähe von Longyearbyen, die den Transport der Kohle zur Verladestelle am Meer zeigen.
Wikimedia Commons
